Sonja Jüngling

Monogamie-Auslaufmodel

Ist Monogamie ein Auslaufmodell?

Teile diesen Beitrag:

Diese Fragen wird mir immer wieder gestellt. Ich beantworte sie mit einem beherzten jein. Dann kommt oft: Also ist Monogamie eigentlich doch das „richtige“ Lebensmodell? Auch hier muss ich sagen: kommt drauf an. Aber im Detail…

 

Das Modell Monogamie

Monogamie ist kein veraltetes oder überholtes Familienmodell. Monogamie kann eine wunderbare und innige Verbindung zweier zufriedener Menschen sein und sie kann auch (sexuell) exklusiv sein. Wenn alle transparent und lösungsorientiert mit den eigenen Bedürfnissen umgehen, Verantwortung für sich und die eigenen Handlungen übernehmen, wenn Verständnis mehr als Rechthaben wiegt, wenn klar ist, was genau (sexuelle) Exklusivität heißt und wie mit eventuellen Crushes oder dem Attraktivfinden anderer Menschen umgegangen werden soll, wenn Ansprüche und Erwartungen an Lebensmodelle und Altersplanung geklärt sind und Raum finden, ist Monogamie ein wunderbares Modell. Und es hat tolle Vorteile wie zum Beispiel mehr Platz im Terminkalender oder staatlichen Schutz. Monogamie profitiert an vielen Stellen von der gesellschaftlichen Kleinkernfamilienplanung wie zum Beispiel bei Ferienwohnungen oder Autos und kann sich ganz wunderbar an ein geringes persönliches Wachstumsbedürfnis anpassen.

Allerdings hat alles eben zwei Seiten. In einer Monogamie habe ich zum Beispiel eine geringere Chance, dass all meine Bedürfnisse erfüllt werden. Ich muss mich mehr anstrengen, wenn ich sowohl den sexuellen Funken aufrecht erhalten will als auch einen wohligen und sicheren Alltagsfrieden. Und ich muss damit einen Umgang finden, dass Verliebtsein und neue Haut keine Optionen mehr sind, zumindest nicht, wenn ich nicht seriell monoamor sondern klassisch monogam, also verheiratet und treu bis ans Lebensende leben will. 

Das alles spricht aber nicht gegen Monogamie.

 

Steigen die Zahlen von Polyamorie und offenen Beziehungen?

Allerdings kommt die Frage vermutlich auch nicht aus einer Kritik an der Monogamie heraus, sondern schlicht und ergreifend aufgrund der Tatsache, dass alternative Lebensmodelle und generell Queerness, also Anderssein im eigentlichen, geschlechtlichen und/oder sexuellen Sinne, mehr Raum in der gesellschaftlichen Diskussion einnimmt. Vielfach entsteht der Eindruck, dass die Anzahl alternativer Modelle und auch der nicht-cis, nicht-heterosexuellen Menschen eklatant zunehmen. 

Ich glaube nicht, dass das wirklich der Fall ist und ich stehe damit nicht allein. Ja, die Anzahl der als queer geouteten, also offen anders lebenden Menschen hat in letzter Zeit zugenommen und zu dieser Gruppe zählen neben Menschen, die sich offen als homosexuell, trans*gender oder kinky definieren, auch die nicht-monogam lebenden Menschen. Es gibt aber viele Hinweise darauf, dass all das vorher auch schon statt gefunden hat oder zumindest der Wunsch sehr deutlich bestand, nur haben sich die Menschen nicht getraut, hatten keine Community oder Info darüber, ob es noch andere Menschen mti gleichen Wünschen gibt. Die weltweite Vernetzung und liberalisierung unserer Gesellschaft machen es glücklicherweise endlich möglich, nicht mehr im Unfrieden mit den eigenen Wünschen und Sehnsüchten zu leben. Will sagen: Vielfalt wird insgesamt sichtbarer. Über eine unaufhaltsam steigende Zahl nicht monogamer Paare sagt das nichts aus. Es gab und gibt immer mal wieder Berichte von Menschen, die in ihrer Kindheit Familienmodelle erlebt haben, die rückwirkend betrachtet als alternativ benannt werden können. Es gibt viele Beispiele, in denen Geliebte offen geduldet wurden. Genauso viele Hinweise gibt es übrigens darauf, dass nicht-Heterosexualität und nicht-Binarität schon immer da und nur nicht sichtbar waren. Die Zahlen nehmen also zu, aber eben nur offiziell, weil es nicht mehr verschwiegen wird. 

 

Nicht-monogame Modelle werden sichtbarer

Verschiedene Studien zeigen*, dass das Thema Polyamorie, also die gleichzeitige (romantische, leidenschaftliche, sexuelle und/oder partnerschaftliche) Liebe von mehreren Menschen deutlich präsenter ist, dass sich mehr Menschen offen dazu bekennen oder darüber nachdenken, ähnliche Modelle auszuprobieren. Aber das sagt nichts über die generelle Tendenz oder Prävalenz von Menschen aus, wie sie leben möchten oder was das „natürliche“ Beziehungsmodel von Menschen ist und auch nicht darüber, wo wir uns gesellschaftlich gesehen hinbewegen.

 

Ist Monogamie natürlich?

Ich bin (auch) Biologin. Schon während des Studiums wurde mir klar: So etwas wie „natürliche“ oder „richtige“ Verhaltensweisen gibt es nicht und das wurde inzwischen vielfach belegt*. Alle Arten passen sich den Gegebenheiten an. Und der Mensch ist in dieser Flexibilität auf Umweltfaktoren zu reagieren besonders gut. Das ist einer von vielen Gründen, warum wir so erfolgreich sind und inzwischen den ganzen Planeten einnehmen und zu unserem Vorteil umstrukturieren, nicht immer sehr klug, möchte ich an dieser Stelle anmerken. Aber so mächtig können wir nur durch unsere klugen Reaktionen auf die Umwelt sein. 

Es gibt Hinweise darauf, dass wir vor der Sesshaftigkeit vermutlich nicht sexuell exklusiv waren. Das reicht von anatomischen Hinweisen über Vergleiche mit ähnlichen Arten bis hin zu paläontologischen Funden*. Allerdings würde ich meinen, dass es durchaus Völker oder Gesellschaften gegeben haben wird, die das anders gehandhabt haben. Wissen werden wir es vermutlich nie ganz, denn die Welt ist groß, die Mentalitäten sind sehr unterschiedlich. 

Die dann später notwendige Lebensgemeinschaft/Ehe war als Zweckgemeinschaft gedacht, weil eine Rollenverteilung durch die Sesshaftigkeit sinnvoll wurde. Sexuelle Treue war eher eine unangenehme Folge von wirtschaftlicher Ausweglosigkeit. 

 

Ist Monogamie „richtig“?

Aber hat beides irgendeine Aussagekraft darüber, was für uns natürlich oder richtig ist? Ich glaube nicht. Wir leben halt so, wie es grade nötig ist. Und die von den Großeltern getrennte Kleinfamilie, die sich im Grunde ohne Netzwerk in einer recht familienfeindlichen Gesellschaft durchschlagen muss, führt eher zu Mütter-Burnout, Väterentfremdung und insgesamt totaler Überforderung. In einer Welt voller Überfluss werden alle einsamer und kommen weniger mit den schnellen und hohen Ansprüchen des kapitalistischen Patriarchats klar. Viele Menschen fühlen sich unglaublich einsam, hilflos, überfordert und unfair behandelt, tatsächlich sogar unabhängig vom Geschlecht. Also zumindest fühlen sie es, wenn sie Zeit, Raum und Geld genug dafür haben und sich bewußt genug mit ihrem Innenleben auseinandersetzen können, weil die Alltagssorgen sie nicht auffressen. 

 

Monogamie und Gesellschaft

Mehrgenerationenhaushalte wären eine gute Lösung und sind vielfach gewünscht, gleichzeitig aber aufgrund des Anspruches an die örtliche Flexibilität im Beruf und auch aufgrund verschiedener anderer Faktoren oft nicht und in meiner persönlichen Wahrnehmung  weniger machbar. Der Wunsch nach einer sicheren Wahlfamilie, nach Netzwerk und gegenseitiger Unterstützung, nach stabiler Gesellschaft und sich gleich und gesehen fühlen, wird lauter. 

EINE mögliche Form des Zusammenlebens könnte Polyamorie sein. Mehrere Menschen können zusammenleben und sich zusammen um Haushalt und Kinder kümmern. Wohlwollende Menschen, die sich gegenseitig unterstützen und sich Freiraum und gleichzeitig innige Gesellschaft ermöglichen, ein bißchen kommunenartig. Und ich bin mir sehr sicher, dass nicht alle Menschen sich vorstellen können so zu leben, auch wenn es in meiner Wahrnehmung sich grade sehr schön und frei und kuschelig anfühlt.

 

Wer will Abschied von der Monogamie?

Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass alle damit einverstanden sind, die Exklusivität aufzugeben. Den Umgang mit Eifersucht kann ich lernen, aber sich mit Sexualität und Dating zu beschäftigen, schauen was ich will, mit wem was geht, wie hoch mein Marktwert ist und ob ich genau die Menschen will, die mich wollen, wie ich mit sexuell übertragbaren Krankheiten umgehen will, all das kann sich sehr anstrengend anfühlen und nimmt viel Raum und Zeit ein, erfordert einen guten Umgang mit Grenzen und Ablehnung und viel soziale Kompetenz.

Selbst die Abkopplung der Lebensplanung von der Beziehung ist ein Punkt, zu dem ganz viele Menschen nicht bereit sind, die aber in einer Nicht-Monogamie fast unumgänglich ist. In einer Monogamie gibt es einfach oft erwartete Schritte in der Organisation des Lebens, die ich nur mit meiner Partnerperson gehen und nicht immer neu diskutieren will. Menschen mögen es einfach und klar. Lebensplanung mit mehreren Personen ist das nicht. 

 

Monogamie ist kein Auslaufmodell

Daher sage ich ganz klar: Ja, es gibt mehr Raum und Möglichkeiten für neue Beziehungsmodelle. Ich würde sogar sagen, dass viele Monogamien davon profitieren würden, wenn die Haltung einer freien Partnerschaft übernommen würde. Oft sind die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und sozialen Abhängigkeiten in einer Monogamie so übermächtig, dass die Menschen sich gar nicht mehr fragen können, ob sie das oder den Menschen, der damit unweigerlich verwoben ist, überhaupt noch wollen. Freiwilligkeit, Authentizität, Autonomie und Transparenz könnten da wahre Wunder wirken und wirklich Menschen glücklich machen. 

Aber ich bin mir sicher, es wird immer monogam lebende Menschen geben. Sei es aus einem romantisierten Wunsch heraus oder weil ich es eben einfach mag oder weil die Liebe zu meiner Partnerperson keine andere Liebe zulässt oder weil ich keine zusätzliche Person in meiner Umgebung finde, die in Frage kommt oder weil ich einfach keine Lust habe, mich oder meine Beziehungsmuster anzuschauen und lieber seriell einen Menschen nach dem anderen lieben und verteufeln will oder weil ich zu schüchtern für neue Menschen bin oder einfach nicht dran glaube, dass Mehrfachliebe funktioniert oder oder oder

 

Viele Beziehungsformen als Option

Es gibt viele gute Gründe monogam zu leben, zum Teil auch nur phasenweise.

Und das finde ich ganz wunderbar! Ich habe lange Phasen aus vielen guten Gründen monogam gelebt und ich würde es wieder tun!

Ich finde es toll, dass jede Person diese Option hat. Ich persönlich würde mir Wünschen, dass wir damit offen umgehen. Dass ich mich nicht irgendwann in ferner Zukunft als monogam outen muss, weil ich es aufgrund gesellschaftlicher Ächtung jahrelang geheim gehalten habe und ich erst mal das internalisierte Stigma therapeutisch bearbeiten muss, bevor ich es mir eingestehen will. 

Und natürlich würde ich mir wünschen, dass auch polyamor, offen, beziehungsanarchisch oder allein lebende Menschen das einfach tun dürften, ohne dass da jemand von oben verurteilend drauf schaut und das abwertet. Ich würde mir wünschen, dass jeder Mensch einfach darauf vertraut, dass die meisten Personen pretty damn good wissen, was sie wollen und was gut für sie ist und dass das niemand Anderem gefallen muss. 

 

Diversität

Vielfalt ist der Grund, dass es so viele Arten auf diesem Planeten gibt. Vielfalt ist DIE Strategie des Lebens und eine wunderbar bereichernde Begleiterscheinung, die unseren Alltag bunt und wunderschön machen kann. Wenn wir unser Schwarzweißdenken loslassen. Wenn wir aufhören, uns zu fragen, was richtig oder falsch ist. Im Zwischenmenschlichen gibt es das nicht, auch wenn unser auf Einfachheit gepoltes Hirn das genr hätte. Was gut für die Eine ist, ist kacke für den Anderen und das ist gut so, weil sonst eine Person sich nicht retten könnte vor Anfragen und die andere Person von allen gehasst würde. So ruckelt sich alles irgendwie ein und wenn mir was nicht passt, kann ich einfach woanders hingucken. 

Großartig, oder?

 

Monogamie und Eifersucht

Also, Monogamie ist KEIN Auslaufmodell. Einvernehmlich nicht monogame Beziehungen werden vermutlich noch ne Weile zunehmen und (das Wissen darüber und der Umgang damit) hoffentlich deutlich verbreiteter in unserer Gesellschaft. Das hätte den Vorteil, dass die Beziehungen besser gestaltet werden und vor allem die Eifersuchtsdramen aufhören. 

In Deutschland versucht jeden Tag ein Mann eine Frau aufgrund von Eifersucht umzubringen, jeden dritten Tag hat einer damit Erfolg. Jeden dritten Tag!!! Wenn wir offen mit unseren Gefühlen und mit der oft übermächtigen Eifersucht umgingen und darüber reden und sie benennen und dann auch einen Umgang damit finden würden, würde das nicht passieren. 

Dafür müssen wir aber nicht die Monogamie abschaffen, wir müssen uns nur endlich trauen, zu unseren eigenen Bedürfnissen zu stehen und uns gegenseitig trösten und wohlwollend zuhören, wenn wir Angst haben. Und das hat mit Beziehungsformen mal so gar nichts zu tun. 

 

 

 

*Solltest du Studien oder andere Nachweise für meine Aussagen benötigen, dann melde dich gern.

Schreib mir auch gern, falls du Fragen oder Anmerkungen hast.

#Auslaufmodell

#monogamie

#Polyamorie

Teile diesen Beitrag:

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert